Unser heutiger Besuch galt der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die im Landkreis Potsdam-Mittelmark in mehreren Orten aktiv für die Menschen da ist. In Bad Belzig trafen wir die Verantwortlichen für die ambulante Wohnhilfe, Schuldner- und Insolvenzberatung, für Migrationshilfe und Suchtberatung.
Alle gemeinsam stellen nach der Corona-Krise einen starken Anstieg von (Erst-)Anfragen fest. Die Mitarbeitenden haben die berechtigte Sorge, dass das vorhandene Beratungsangebot im Landkreis bei weitem nicht ausreicht. Menschen mit Beratungsbedarf müssen oft lange auf einen Termin warten. Dazu kommt das Problem, dass sie die Stellen häufig zu spät kontaktieren Aus einem Problem ist dann schon ein ganzer Problemkomplex geworden, der nur schwer aufzulösen ist.
Wohnungslose: „Potsdam-Mittelmark ignoriert das Problem.“
Anne Schweiger, die Leiterin der ambulanten Wohn- und Eingliederungshilfe bemängelt, dass es im Landkreis Potsdam-Mittelmark immer noch kein Wohnungsnotfallkonzept gibt. In vielen Kommunen fehlten Unterkünfte. Gerade in Potsdam-Mittelmark gebe es eine große Anzahl von „Couchhoppern“, Leuten die sich ohne festen Wohnsitz von Couch zu Couch irgendwie durchschlagen. Der Landkreis hat zwar eine gesetzliche Verpflichtung, Wohnungslose unterzubringen, ignoriert aber das Problem. Es existieren keinerlei Standards für die Unterbringung. „Hier gibt es auch viel Verdrängung, etwa nach Berlin, Potsdam oder Brandenburg an der Havel“, fügte sie hinzu.
AWO als Ansprechpartner für Geflüchtete
Ewgenia Marte von der Migrationsberatung betont, wie dringend die geflüchteten Menschen im Landkreis die Beratung brauchen, zum Beispiel beim Umgang mit Behörden. Leider sei keine der helfenden Initiativen vor Ort so finanziert, dass sie den Migrant*innen ausreichend zur Seite stehen kann. So tingeln die Hilfesuchenden von A nach B. Auch unter den Migrant*innen gebe es Menschen mit Schulden oder welche, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Am gravierendsten ist jedoch auch hier fehlender bezahlbarer Wohnraum.
Kurzzeit-Finanzierung ist Gift für die Beratungsstellen
Aline Liebenow ist zuständig für die Schuldner- und Insolvenzberatung. Sie betont, wie wichtig es für ihre Mitarbeitenden ist, zu den Kunden ein langfristiges vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Hier ist die Finanzierung über 1‑Jahres-Projekte absolut kontraproduktiv.
Sie sagt: „Kann ich im Oktober dann noch neue Klient*innen annehmen und betreuen, wenn ich nicht weiß, ob ich ab Januar noch da bin? Eigentlich nicht, aber ich mache es trotzdem“. Bei der Insolvenzberatung fehlen – mit Stand Juli – immer noch die für 2023 zugesagten Landesmittel. „Und das Jahr geht zu langsam zu Ende.“ Sie berichtet von vielen Anfragen und einer langen Warteliste. Mit den Folgen der Corona-Krise und der hohen Inflation rechnet Aline Liebenow erst in einigen Jahren: „Es dauert mehrere Jahre, bis die Menschen in ihrer Not zu uns kommen.“
Suchtverhalten nimmt zu
Susanne Lüthke und Heike Köhr-Krüger von der Suchtberatung berichten von vielen Erstanfragen, die die Beratungsstelle gerade erreichen. Sie stellen sowohl eine Zunahme des stoffgebundenen Suchtverhaltens (z.B. Alkohol, Drogen …) als auch des nicht-stoffgebundenen Suchtverhaltens im Landkreis fest (z.B. Glücksspiel, Internet …). Immer häufiger treten sog. multiple Problemlagen auf, zum Beispiel psychische Erkrankungen in Verbindung mit Sucht und Schulden. Sie kritisieren, dass die dringend notwendige Präventionsarbeit mit dem aktuell an Schulen zur Verfügung stehenden Personal nicht mehr zu leisten ist. Eine Lösung wären Schulgesundheitsfachkräfte, deren Finanzierung nach einem Modellprojekt leider ausgelaufen ist. Manche Gemeinden übernahmen anschließend die Finanzierung der „Schulkrankenschwestern“ – für Kinder und Jugendliche ein wichtiger Ansprechpartner bei Problemen und für die Gesellschaft eine Möglichkeit, Probleme frühzeitig zu erkennen und Hilfe zu organisieren. Auch beim Thema Suchtberatung spielt der Fachkräftemangel eine große Rolle: es fehlen ambulante Psychotherapeuten. Fehlt nach einer Entgiftung oder Suchtberatung aber die Therapie zugrundeliegender Probleme, kommt es vermehrt zu Rückfällen.
Auch die Pressestelle der AWO berichtete von dem Termin. HIER gehts zum Artikel.